“Aber es muss doch Konsequenzen geben!”

In der Begleitung von Familien begegnet mir das Thema „Konsequenz“ häufig.
Oft verbunden mit der Vorstellung, dass Kinder nur lernen, wenn sie Konsequenzen spüren 
– im Sinne von: „Wenn du noch einmal …, dann …“.

Aber was, wenn wir den Blick drehen?

Was, wenn die eigentlich wirksamen Konsequenzen nicht für Kinder, sondern von uns Erwachsenen ausgehen – aus Erkenntnis, aus Verantwortung, aus echter Veränderung?

In diesem Artikel möchte ich dich einladen, den Begriff „Konsequenz“ neu zu denken.
Abseits der üblichen Sichtweise.
Wie können wir aus Erfahrungen lernen?
Abläufe anpassen? Unsere Führung stärken – ohne Druck, sondern mit Klarheit?

Ich nehme dich mit in meine Praxis – und vielleicht findest du dich in dem einen oder anderen Gedanken wieder.


Konsequenzen als Drohung

„Wenn du noch einmal Sand wirfst, gehen wir heim“

Eine solche Aussage birgt einige Risiken für die Person, die sie ausspricht. Zum Beispiel:

Risiko 1:
In den allermeisten Fällen ist eine solche Aussage eine Einladung, ja eine Aufforderung noch einmal Sand zu werfen. Das kann verschiedene Gründe haben:

  • dein Kind begreift viele Situationen noch sehr spielerisch und erlebt sich selbstwirksam. „Ich mache so, dann macht Mama/Papa so“. Es probiert sich aus und kann etwas bewirken.
  • dein Kind möchte unbewusst und ohne böse Absicht, diese Aussage überprüfen. „Gilt das wirklich?“
  • dein Kind sucht die „große Energie“, mit der „Grenzen gesetzt werden“, weil es dich da besonders echt und intensiv spürt.

„Grenzen austesten“ wird das manchmal genannt. Das machen Kinder nicht aus „böser Absicht“

Risiko 2:
Du möchtest mit dieser Drohung eigentlich dein Kind lenken und schadest dir vielleicht selbst, weil du tatsächlich nach Hause gehen müsstest, um konsequent zu sein. Und ist es das, was du in diesem Moment wirklich möchtest? Meine Klient:innen lachen häufig, wenn ich sie das frage. Denn natürlich wollen sie das nicht.

Risiko 3:
Du sprichst diese Drohung aus, hältst dich aber nicht daran, weil du tatsächlich nicht nach Hause gehen möchtest. Das kann bewirken, dass diese Drohung weniger Eindruck macht, als sie es ohnehin kann.

Diese Aussage birgt nicht nur Risiken, wie die hier genannten.
Sie ist auch nicht freundlich, nicht beziehungsstiftend und vor allem: Sie hilft nicht.
Sie hilft nicht, weil sie nicht klar ist und weil völlig außer Acht gelassen wird, warum das Kind Sand wirft.
Und vermutlich, weil Elternteil und Kind in diesem Moment nicht wirklich in Kontakt sind.

Wie anders?

Wie kannst du anders reagieren? Wie kannst du klar mitteilen, dass du das nicht möchtest und gleichzeitig anerkennen, was dein Kind bewegt; dass es für sich einen „guten Grund“ hat, so zu handeln.
Ich habe hier ein paar Beispiele möglicher klarer Aussagen notiert.
Für die Umsetzung in deinen Alltag, wähle bitte ein für dich passendes Wording.
So ungefähr könnte das klar und gleichzeitig freundlich formuliert werden.:

  • Forschen
    Wenn dein Kind Sand wirft, weil dieser so schön fliegt, dann könntest du das aufgreifen und benennen, und gleichzeitig klar machen, warum du das nicht möchtest:
    „Du magst es, wenn der Sand fliegt. Leider kriegen ihn dann alle da drüben in die Augen. Das geht nicht. Deshalb kannst du hier nicht Sand werfen.“
    Und wenn dein Kind sehr jung ist, ist es wichtig dabei zu bleiben und darauf zu achten, dass es nicht weiter Sand wirft. Oder du zeigst ihm, wo es möglich ist, falls du eine solche Möglichkeit siehst, die niemanden stört.
  • Abgrenzen
    Wenn dein Kind Sand wirft, weil es sich abgrenzt von einem anderen Kind. Also auf diese Art: „Nein“ sagt, dann kannst du genau das benennen. Vielleicht hat das andere Kind seine Schaufel genommen. „Du willst nicht, dass er:sie deine Schaufel nimmt. Sandwerfen tut weh. Das machen wir nicht.“ Je nach Alter deines Kindes kannst du ihm vermitteln, was es zum anderen Kind sagen kann, oder was es sonst machen kann, wenn es seine Schaufel zurückhaben möchte. Bzw. kannst du das auch dem anderen Kind sagen. „Er:Sie möchte die Schaufel wieder zurück“.
    Auch hier ist es wichtig, dabei zu bleiben und darauf zu achten, wie das Miteinander der Kinder läuft und ob es hier noch mehr Unterstützung von dir braucht.
  • Kontaktaufnehmen & Wirksam sein
    Wenn dein Kind Sand wirft, um „Hallo“ zu sagen bzw. um selbstwirksam zu sein, braucht es deine Unterstützung dabei, wie es anders handeln kann. Je nach Alter deines Kindes könntest du es in der Sandkiste den anderen Kindern vorstellen, du könntest mit ihm erforschen, wer aller da ist und was die anderen Kinder machen. Du könntest es beim Sandkuchen bauen unterstützen, so dass es seine Selbstwirksamkeit erlebt oder es dabei begleiten mit anderen etwas gemeinsam zu bauen. Und gleichzeitig achtest du darauf, dass es nicht weiter Sand wirft.
    Und falls du dich fragst, ob du in diesem Fall „keine Grenze aufzeigst“: Natürlich kannst du zusätzlich deinem Kind sagen, dass du nicht möchtest, dass es Sand wirft – in diesem Fall ist es allerdings besonders wichtig, ihm zu vermitteln, was es machen kann.

Den Unterschied macht:

  • Du ziehst Konsequenzen und veränderst deine Haltung und deine Reaktion auf das Verhalten deines Kindes.
  • Deine innere Gestimmtheit. Diese ist sehr wahrscheinlich positiver: „Mein Kind ist kein „schlimmes Kind“ – es forscht bzw. es kämpft für sich bzw. es weiß noch nicht so recht, was es hier tun kann“. Das fühlt sich doch gut an, oder?
  • Dein Kind fühlt sich gesehen und unterstützt. Seine soziale Kompetenz wird gestärkt.
  • Dein Kind erfährt eine klare Orientierung statt Begrenzung. Denn es folgt jeweils ein „Ja“ (so geht es) deinem „Nein”.

Konsequenzen im Rahmen eines „Pakts“

„Wenn wir heute länger am Spielplatz bleiben, kann ich am Abend keine Geschichte vorlesen“

Kinder leben im Moment.
Und im Moment ist es einfach so schön, noch am Spielplatz zu sein.
Jede Minute länger ist großartig für dein Kind.

Vor diesem Hintergrund ist es nur zu verständlich, dass dein Kind sehr schnell auf jeden „Handel“, den du vorschlägst, eingehen wird. Je jünger es ist, desto weniger kann es voraussehen, wie es sich anfühlt, wenn die Abendroutine, die für einen guten Abschied in die Schlafenszeit wichtig ist, verändert abläuft.

Unter drei Jahren ist dein Kind so gut wie nicht paktfähig. Zwischen drei und fünf Jahren bedingt, aber auch nach dem fünften Lebensjahr kann es noch sehr verzweifelt reagieren, wenn es nach einem solchen Kompromiss mit den Folgen konfrontiert wird.

Was bedeutet das für dein Elternsein?

Die Verantwortung für einen solchen Pakt liegt bei dir.
Es ist wichtig, das im Blick zu behalten und nicht dein Kind für seinen Wunsch und eure Entscheidung verantwortlich zu machen.
Du kannst:

  • dein Kind trösten, wenn es mit den Folgen des  „Pakts“ nicht klarkommt, für es da sein und ihm helfen, diese Enttäuschung auszuhalten.
  • einen neuen Kompromiss eingehen und doch vorlesen (ev. kürzer).
  • einen solchen Handel nicht (mehr) eingehen, aus dem Wissen heraus, dass er nicht halten wird; nicht halten kann.
  • die Zeit am Spielplatz nur in einem solchen Rahmen verlängern, dass die wichtigen Rituale nicht davon beeinträchtigt werden.

Konsequenzen aus Erfahrung

„Wenn ich mit meinem Baby im Wagen und meinem Kleinkind am Laufrad unterwegs bin, bin ich nicht so schnell, dass ich für die Sicherheit meines Kleinkindes sorgen kann“.

Jeden Tag machst du neue Erfahrungen mit deinem Kind; deinen Kindern. Du erfährst, welche Situationen gut möglich sind und welche entweder für dich oder dein Kind/deine Kinder in dieser Zeit auf diese Art nicht machbar sind und es ist nur gesund und nachvollziehbar, wenn du aus solchen Erfahrungen DEINE Konsequenzen ziehst und Veränderungen vornimmst.

Das kann die Sicherheit deines Kindes betreffen, wie im Beispiel oben. Das kann in vielen Situationen deinen eigenen Stresslevel betreffen.

Sicherheit:
Du kannst nicht schnell genug neben deinem Kleinkind, das am Laufrad den Gehweg entlang düst, herlaufen, was aus unterschiedlichen Gründen notwendig ist (zum Beispiel, wenn es noch nicht verlässlich bei Querstraßen stehen bleibt).

Je nach Alter kann es funktionieren, mit dem Kind zu vereinbaren, dass es langsam und direkt neben dir fahren muss.
Je jünger und je “fröhlicher” dein Kind im aktuellen Moment ist, desto schwieriger und unsicherer ist es.

Deshalb ist es wichtig, hier klar die Verantwortung zu übernehmen.
Und auch hier nicht zu drohen, wie oben beim „Sand werfen“.
Dein Kleinkind macht nichts falsch. Es hat ein Rad, es kann schnell fahren, es kann sich Gefahren noch nicht vorstellen und auch nicht, wie du dir Sorgen machst. Solange es nicht langsam fahren kann, ist es wichtig, dass du einen Rahmen schaffst, der sicher ist.

Dh. du ziehst eine Konsequenz aus deiner Erfahrung mit deinem Kind.
Welche Konsequenz du ganz konkret ziehst, dafür gibt es verschieden Strategien aus denen du wählst.
Es kann sein, dass du entscheidest, dass

  • dein Kleinkind nur im Park mit dem Laufrad fährt,
  • es nur mit dem Laufrad fährt, wenn das Baby nicht dabei ist,
  • es nur mit jemandem anderen mit dem Laufrad fährt,

um beispielhaft ein paar Strategien zu nennen.

Was hier wichtig ist für die Kommunikation mit deinem Kleinkind:
Die Verantwortung bleibt bei dir. Du suchst einen Weg, damit das Laufradfahren sicherer ist. Und diese Info bekommt dein Kind: „Das ist im Moment noch zu gefährlich, deshalb…“
Ohne „Wenn, dann, …“. Ohne „Weil du nicht, …“

Eigenen Stresslevel im Blick behalten:

Kinder zu begleiten, kann häufig sehr anstrengend sein.
Und dann gibt es Situationen, da wird es so anstrengend, dass es immer schwieriger wird, die Nerven zu behalten, ruhig zu handeln und nicht zu schreien.

Niemand schafft es, immer ruhig zu bleiben und es ist ganz wichtig, hier einen liebevollen Blick auf sich selbst zu werfen.
„Ich gebe mein Bestes – heut ist mir nicht alles so gelungen, wie ich das gern möchte. Ich bin auch nur ein Mensch. Ich kann mich bei meinem Kind entschuldigen und morgen ist ein neuer Tag.“

Und gleichzeitig ist es wichtig, die eigene Kraft im Blick zu behalten und Situationen entsprechend umzugestalten, die den eigenen Stresslevel in die Höhe treiben. Jedenfalls jene, die du umgestalten kannst.

Die meisten meiner Klient:innen nennen Zeitmangel als erstes, wenn es um jene Faktoren geht, wo es enger wird und die Geduld nachlässt.

Und auch hier darfst du für dich Konsequenzen aus den Erfahrungen ziehen, damit es für dich emotional sicherer und machbarer ist. Ein Beispiel:

  • Wenn du nach einer, vielleicht mehrfach, verlängerten Spielplatzzeit heimhetzen musst, dein Kind hinter dir herziehst, du genervt einkaufen gehst, weil es schon so spät ist, hektisch das Abendessen zubereitest und dann kaum mehr Kraft hast, für die Abendroutine und schon gar nicht für einen Moment für dich, dann ist es wichtig für dich und deinen Stresslevel einzutreten und die Spielplatzzeit nicht zu verlängern oder zu klären, dass deine Partnerin/dein Partner einen Teil der Aufgaben daheim übernimmt. Einfach, weil es dich in (Zeit-)Not bringt – und Elternaufgaben so und so geteilt gehören.

Wie schon beim „Pakt“ oben geschrieben, kann dein Kind diese Verantwortung nicht übernehmen. Es kann nicht überblicken, was noch alles ansteht, nach dem Spielplatz. Du kannst es.

Bestimmt fallen dir viele andere Situationen ein, wo du in „emotionale Not“ gerätst und überall dort ist es hilfreich, deine Aufmerksamkeit hinzulenken und dich zu fragen, ob und wie du diese für dich einfacher und machbarer gestalten kannst.

 


Fazit:

  • Konsequenzen für das Kind, im Sinne von Drohungen zur Verhaltensregulation sind weder freundlich, liebevoll noch hilfreich.
  • Konsequenzen im Rahmen eines Pakts bzw. Kompromisses zwischen Eltern und Kindern halten meinst nicht, wegen der noch nicht vorhandenen Paktfähigkeit je nach Alter des Kindes.
  • Ein Gamechanger sind Konsequenzen, die Eltern für sich selbst ziehen, im Sinne von Verhaltensänderungen, Änderung von Abläufen, Änderungen in der Zeitplanung. Im Sinne von Verantwortung für mehr Sicherheit im Innen und Außen.
    Für dich und dein Kind.

Hast du Fragen oder Anmerkungen zum Artikel, dann schreibe mir gern: martina@martinawolf.at

 

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